Sonntag, 18. Januar 2009

Die Puppe, der Teddy, der Fluss und das Erdbeben

Er hatte wieder dieses melancholische Gefühl und er wusste, dass er das so schon tausendmal erlebt hatte. Langsam ging er die nasse Strasse herunter. Der Himmel war verhangen und grau und es nieselte leicht. Der Mond war gerade am aufgehen und die Sichel zeichnete sich deutlich durch den grauen Morgenhimmel ab. Er sinnierte so vor sich hin während er langsam und gedankenverloren weiterging. Was hatte ihm der alte Mann nicht neulich alles erzählt: Teddybären wären nichts zum Knuddeln und Puppen nichts zum Spielen. Warum hatte er das wohl gesagt? Er fand keine rechte Antwort für sich, aber er liebte über solche Dinge nachzudenken.
War es Verbitterung über das Leben bei diesem alten Mann? Oder war es nur eine Frage des Alters? Aber warum hatte der Alte - ihm – ausgerechnet das alles erzählt?
Beinahe wäre er mit einer jungen Frau zusammen gerannt, die gerade aus dem Haus vor ihm heraus kam, so gedankenverloren war er. Im letzten Moment konnte er gerade noch ausweichen.
Was passiert das man nicht mehr mit Puppen und Teddys spielen will, wenn man älter wird? Bei ihm war es anders, denn er hatte zu Hause einen großen Teddybären, den er als Kind bekommen hatte und irgendwie schon immer mochte und den er deshalb bei jedem Umzug noch mitschleppte. Puppen hingegen hatten ihn noch nie zum Spielen gereizt. Ja, jetzt erinnerte er sich, er hatte als Kind aus purer Neugier mal eine in ihre Einzelteile zerlegt, um zu sehen wie die im Inneren aussahen und außerdem, so fiel ihm ein, hatte er damit auch seine Schwester gehörig geärgert. Er hatte dafür dann allerdings auch kräftigst was zu hören bekommen – von den Eltern.
Knuddeln mit seinem Teddybären aber war für ihn aber schon lange kein Thema mehr.

Er ging über einen Feldweg und jetzt erreichte er den kleinen Fluss, der zurzeit ganz schön viel Wasser führte. Ist ja kein Wunder bei dem vielen Regen dachte er, denn seit einer Woche hatte es fast nur geregnet.
Plötzlich sah er direkt neben sich bäuchlings einen braunen Teddybären den Fluss herunter treiben. Es gibt keine Zufälle im Leben, dachte er vor sich hin, aber er konnte den Sinn nicht verstehen. Er schaute nach einem Stock um den Teddy heraus zu angeln. Da er direkt nichts finden konnte, verließ er den Weg und ging in die Wiese nebenan. Der voll gesogene Boden fing sofort an zu schlürfen. Das geht sich aber weich und da wird wohl wieder Schuhputzen angesagt sein, so dachte er. Mach schnell jetzt, trieb er sich an – der Teddy trieb immer weiter – im letzten Moment fand er einen langen dunklen Ast. Er rannte zum Fluss als plötzlich der Boden unter ihm zu beben und zu wackeln anfing -erst langsam - dann mit zunehmender Frequenz. Unbeholfen balancierte er auf den braunen und rutschig nassen Blättern, die die Böschung verdeckten, dabei kippte zur Seite und ehe er sich versah fiel er klatschend in den Fluss.
Zunächst war erschreckt und ruderte wild mit den Armen, aber dann hielt er inne - ja es fühlte sich gut an – das Wasser war warm und weich. Er schwamm zum Teddy und ergriff ihn und ließ sich dann treiben. War es nicht dieses seltene und zugleich doch sehr vertraute Gefühl nachdem er sich schon immer gesehnt hatte? Er streckte Arme und Beine weit aus und legt den nassen Teddy sorgsam auf seinen Bauch. Dann schaute in den nassen Himmel und fing an sich vollständig zu entspannen. Welch ein Wohlgefühl, er fing innerlich an zu grinsen. So einfach ist das Leben...
Während er langsam den Fluss herab trieb beobachtete er den Mond, der inzwischen schon höher am Himmel stand und der schien ihm eine Geschichte erzählen zu wollen. Interessiert hörte er zu.
Der Mond erzählte ihm vom ständigen Wechsel - bei Ihm selber - aber auch in allen anderen Dingen und Wesen, zunächst von der zunehmenden Fülle, von der hellen kreisrunden Vollkommenheit, vom Gebären und dann wieder vom abnehmen und zuletzt vom scheinbar vollständigen Verschwinden, wobei letzteres eben nur eine optische Täuschung sei. In all diesem ständigen Wechseln sei er – der Mond- natürlich immer da und somit ein Teil der Ewigkeit. Er sei der kleine karge und geheimnisvolle Bruder der großen blauen und bunten Mutter Erde und er passe immer auf alle Lebewesen der Erde auf.
Der Mann lies diese Worte tief in sich gleiten. Er war jetzt vollständig entspannt. Wie aus großer Ferne vernahm er Leute, die ihm vom Ufer zu winkten und etwas zuzurufen schienen. Dann nahm er den Teddy und fing an zu tauchen. In der Tiefe war alles in gedämpftes bläulichgrünes Licht gehüllt und das zog ihn magisch an. Eine unheimliche Stille war hier unten, nur durchbrochen von feinen kleinen blubbernden und gurgelnden Geräuschen.
Ja, hier was das große Reich von Neptun dem Wassergott mit seinen fischigen und krebsigen Gespielen und Gespielinnen und diesen ganz besonderen Pflanzen, die es vorgezogenen hatten der Schwerkraft auszuweichen und daher lieber ständig leicht und mühelos im Wasser zu tanzen. Hier verbarg auch Neptun seine vielen anderen großen und kleinen Geheimnisse von denen wir Menschen als Landbewohner – die wir mittlerweile geworden waren – meistens keine wirkliche Ahnung mehr hatten.
In diesem Moment spürte er eine merkwürdige Bewegung an seiner Brust. Schnell fasste er mit seiner Hand hin und konnte gerade noch verhindern, dass sein Portemonnaie heraus fiel. Sofort schloss er den Reisverschluss.

Heute ist Badetag sinnierte er grinsend nach dem Auftauchen und holte erneut tief Luft. Als er wieder nach unten tauchte sah er plötzlich, in der Ferne tief unter ihm, zwei Augen. Er bekam einen Schreck, denn er sah in einen großen Spiegel, in dem er den alten Mann wieder erkannte. Der alte Mann fuchtelte wild mit den Händen und kleine helle Blasen kamen aus seinem Mund und es schien als wollte er ihm was mitteilen. Er taucht näher. Als er schließlich unmittelbar davor war berührte Ihn was von hinten. Er machte eine schnelle ungelenke Bewegung und berührte dabei den Spiegel so fest, dass dieser augenblicklich zersprang und mit einem lauten Knall in viele viele kleine Teile und Splitter zerfiel. Diese verteilten sich langsam überall. Als sie endlich zum Boden geschwebt waren, öffnete sich unter ihm eine Art Tür.
Obwohl er kaum noch Luft hatte, tauchte er neugierig hinein und kam in eine Höhle aus der laute und für Ihn irgendwie vertraut klingende Unterwassermusik drang. Er tauchte entschlossen weiter und es wurde heller. Er schwamm direkt in Licht und befand sich an einer Art Empfang. Freundliche kleine puppenähnliche Wesen begrüßten ihn. Ihm wurde sofort Sauerstoff angeboten. Er wählte den Sauerstoff in den Ballonflaschen aus, weil diese Flaschenform jenseits aller Mode immer gut aussahen und auch sehr lange hielten (im Gegensatz zu den modischen Flaschen in Handtaschenform, die einfach nur schön anzusehen waren).
„Landling“ du brauchst keinen Eintritt zu bezahlen, weil Du in Begleitung eines Teddys bist, wurde ihm freundlich zugeblubbert.
Sofort nahmen ihn eine dunkle und eine helle Nixenpuppe an der Hand und zogen ihn sanft durch eine Art hellblauen Tunnel. Dieser schien aus sich selbst heraus zu leuchten. Die Wassertemperatur nahm noch etwas zu und viele kleine Luftbläschen wirbelten freudig und leicht - wie als wenn sie sich über seine Ankunft freuten - um ihn herum. Der Klang der Musik war weit weg und doch zugleich so nah, wie wenn sie aus ihm selbst heraus kommen würde. Es klang wie Kompositionen aus ganz erdfernen Weltraumsphären.
Leider konnte er die schwarze Nixe nicht verstehen, die ihm ununterbrochen mit kurzen rhythmischen und morsezeichenähnlich was zu zublubbern versuchte, aber da Ihr Mienespielen freundlich und heiter war blubberte er einfach freundlich ebenso zurück.
Langsam schwammen sie auf eine große Gestalt hinzu, die mit dem Rücken zu ihnen saß. Schon von weitem konnte man die langen goldenen Haare, die fein mit geflochtenen blaugrünen Haarsträhnen versetzt waren, erkennen.
Doch plötzlich hielt die helle Nixe inne und sagte, dass sie bevor sie weiter gehen dürften noch eine wichtige Fragen habe. Aufgeregt blubbernd fragte sie ihn, warum er früher nicht mit Puppen spielen wollte. Er dachte nach aber er fand keine Antwort und da er es nicht wusste, sagte er dann lieber gar nichts, ehe er eine falsche Antwort gab. Er zuckte daher nur mit den Schultern und versucht dabei auf keinen Fall zu atmen, damit sein blubbern nicht falsch verstanden werden würde.
Die helle Nixe blickte ihm lange mit einem fragenden und prüfenden Gesichtsausdruck direkt in die Augen. Dann schaute Sie nachdenklich zum Boden mit keiner Antwort hatte sie offenbar nicht gerechnet. Leider dürfen wir dann jetzt erst mal noch nicht weiter blubberte sie …

…das war „Space Oddity“ von David Bowie, es ist jetzt sechs Uhr fünfundvierzig“ klang es aus dem Radiowecker. Schlaftrunken räkelte er sich in seinem Bett und blinzelte. Der Teddy war heruntergefallen und lag bei Ihm auf dem Bauch und in seiner rechten Hand hielt er eine dunkle Puppe, die er noch nie gesehen hatte. Irgendwie fühlte sich das Bett feucht an. Überall lagen grüne Scherben herum und die volle Wasserflasche stand nicht mehr auf dem Nachtregal…

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